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Stellungnahme der niedersächsischen Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Gabriele Heinen-Kljajić,

zu den im Rahmen der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Vorgänger-Organisation der Leibniz Universität Hannover gewonnenen Erkenntnisse über Eduard Pestel


Es ist keine neue Erkenntnis, dass in der jungen, aber auch noch späteren Bundesrepublik verantwortungsvolle Positionen in Staat und Gesellschaft von Personen besetzt waren, die zuvor das menschenverachtende und verbrecherische System der Nationalsozialisten aktiv unterstützt oder zumindest mitgetragen haben.

Aber auch mehr als 70 Jahre nach Ende der Diktatur bleibt es die historische Verantwortung unserer Gesellschaft gegenüber den Opfern und gegenüber unserer Demokratie, dass die Erinnerung an das Unrechtssystem nicht verblasst und die Namen der Täter, Unterstützer und sog. Mitläufer nicht verschwiegen werden.

Die von der Leibniz Universität Hannover in den vergangenen Jahren forcierte Aufarbeitung ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit leistet dazu einen wichtigen Beitrag und macht einmal mehr deutlich, dass es auch im Wissenschaftssystem erschreckende personelle Kontinuitäten und Karrieren gegeben hat. Es ist das Verdienst von Michael Jung mit seinem Beitrag „Verdrängte Vergangenheit: zur Rolle von Nachkriegsrektoren der Technischen Hochschule Hannover in der NS-Zeit“ auch die Leitungsebene der Hochschule in der Zeit nach der Diktatur und die diesbezüglich ausgebliebene kritische Auseinandersetzung innerhalb der Hochschule ins Licht der Aufmerksamkeit gerückt zu haben.

Dieses Licht wirft auch einen deutlichen Schatten auf die Persönlichkeit und das Wirken von Eduard Pestel, der nicht nur von 1969 bis 1970 Rektor der Technischen Universität Hannover war, sondern auch von 1977 bis 1981 Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kunst. Den unbestreitbaren Verdiensten des Wissenschaftlers und Wissenschaftspolitikers in Zeiten der Bonner Republik gerade auch mit Blick auf die Förderung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit Israel (wie etwa die Neugründung der in der NS-Zeit verbotenen Deutschen Technion-Gesellschaft, die die Zusammenarbeit von jüdischen und deutschen Wissenschaftlern fördert, sowie die Rolle Pestels als deren Präsident) stehen ebenso unbestreitbare Belege für die vorangegangene Verstrickung in das nationalsozialistische System durch Mitgliedschaften, ausgeübte Funktionen und eine antisemitische Korrespondenz gegenüber.

Seien es Schuldgefühle, das Streben nach Wiedergutmachung oder die Absicht einer Verschleierung der eigenen Vergangenheit, es muss letztlich Spekulation bleiben, welche Motive Pestel für seine offensichtliche Umkehr hatte, da er sich niemals öffentlich zu seiner Verstrickung in das NS-System bekannt und sich von dieser distanziert hat. Man hätte ein ehrliches und klares Bekenntnis des Trägers der „Max Born-Medaille für Verantwortung in der Wissenschaft“ und zentralen Figur im „Club of Rome“ erwarten können. Ein derart offener, moralisch verantwortungsvoller Umgang mit der eigenen Vergangenheit hätte der Nachwelt - gerade mit Blick auf das Wirken in der Zeit nach dem Nationalsozialismus - auch eine innere Umkehr Pestels als Handlungsmotiv plausibel erscheinen lassen.

So bleibt ein Fragezeichen hinter der Person Eduard Pestels, der nicht nur Rektor und Wissenschaftsminister war, sondern auch Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Senatsvorsitzender der Fraunhofer-Gesellschaft, Mitglied im Kuratorium der Stiftung Volkswagenwerk (heute: VolkswagenStiftung), im Kuratorium des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft und im NATO-Wissenschaftsausschuss war.

Das Bild Eduard Pestels in der Reihe der Portraitfotografien ehemaliger Minister und Ministerinnen im Foyer des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur wird in geeigneter Weise um einen erläuternden Zusatz ergänzt werden, um der Ambivalenz des wissenden Betrachters Rechnung zu tragen und zugleich zum Nachdenken anzuregen.

Zum Hintergrund:

Im Zuge der Untersuchungen der Leibniz Universität Hannover zur Geschichte ihrer Vorgänger-Institution, der Technischen Hochschule Hannover, während der Zeit des Nationalsozialismus wurden Unterlagen zur NS-Vergangenheit von Eduard Pestel entdeckt, die am 19. November 2016 in den Hannoverschen Geschichtsblättern veröffentlicht wurden.

Weitere Informationen sind hier zu finden:

- M. Jung, Verdrängte Vergangenheit: Nachkriegsrektoren der Technischen Hochschule Hannover in der NS-Zeit. Hannoversche Geschichtsblätter 70 (2016), https://www.uni-hannover.de/fileadmin/luh/content/webredaktion/aktuell/jung_verdraengte_vergangenheit.pdf

- Gemeinsame Erklärung der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover und der Deutschen Technion-Gesellschaft e. V. zu Eduard Pestel, https://www.uni-hannover.de/de/aktuell/online-aktuell/details/news/1595/

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Artikel-Informationen

erstellt am:
21.11.2016

Ansprechpartner/in:
Pressestelle MWK

Nds. Ministerium für Wissenschaft und Kultur
Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Leibnizufer 9
30169 Hannover
Tel: 0511/120-2599
Fax: 0511/120-2601

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