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Reise ins Quantum Valley Lower Saxony

Erste Prototypen eines Quantencomputers werden in der Region Hannover-Braunschweig bereits getestet und mit rascher Geschwindigkeit weiterentwickelt. Bis 2025 wird im Schulterschluss von Forschung und Industrie der erste Quantencomputer des Landes in Betrieb genommen, über die kommenden 10 Jahre sollen mehr als 1,5 Milliarden Euro in dieses Zukunftsfeld fließen. Im Rahmen einer Pressetour mit dem niedersächsischen Wissenschaftsminister Björn Thümler wurden die bisherigen Ergebnisse und die zukunftsweisenden Pläne der Initiative des Quantum Valley Lower Saxony vorgestellt.

Führende Forschungseinrichtungen, Unternehmen und das Land Niedersachsen hatten sich im Oktober vergangenen Jahres zum Bündnis Quantum Valley Lower Saxony (QVLS) zusammengeschlossen, um die Expertise von mehr als 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den beteiligten Institutionen zu bündeln. Ergänzend zu den Projekten und Investitionen der letzten Jahre von über 220 Millionen Euro haben das Land Niedersachsen und die VolkswagenStiftung im Dezember 2020 der Initiative 25 Millionen Euro als Kernfinanzierung für den Bau eines Quantencomputers bereitgestellt. Diese Summe soll im Rahmen der aktuell laufenden Bundesausschreibungen vervielfacht werden und die technologische Entwicklung weiter beschleunigen.

Quantencomputer gelten als einer der vielversprechendsten technologischen Durchbrüche des 21. Jahrhunderts. Deutschland befindet sich im globalen Wettlauf und investiert im Rahmen des Corona-Konjunkturpakets bundesweit bis 2025 bis zu 2 Milliarden Euro in dieses Zukunftsfeld. Eines der führenden nationalen Ökosysteme für den Bau von Quantencomputern und für die Quantenmetrologie entsteht in Niedersachsen. Hier werden die Bundesgelder durch weitere Quellen aus der Forschung und insbesondere durch Engagement der Industrie ergänzt und in diesem Jahrzehnt mit einem projizierten Gesamtvolumen von über 1,5 Milliarden Euro Quantendurchbrüche vorangetrieben. Die strategische Roadmap des QVLS enthält die Weiterentwicklung der Ionenfallen-Technologie, Großprojekte mit Unternehmen, die Vermarktung von Spin-Off-Innovationen, Start-up-Förderung, Quantum Education sowie mehrere Forschungsneubauten.

Mit der Ionenfallentechnologie nutzen die Forscherinnen und Forscher einen der derzeit vielversprechendsten Ansätze, um skalierbare Quantencomputer zu entwickeln. Die Zusammenführung aller erforderlichen Expertise unter einem Dach ‒ von der Nanotechnologie bis zu Quanten-Algorithmen oder der Herstellung von Ionenfallen-Chips ‒ ist ein überzeugendes Alleinstellungsmerkmal der Allianz in Deutschland und in Europa. Das Ziel der Landesinitiative Quantum Valley Lower Saxony ist aber nicht nur die Führungsrolle in der Forschung weiter auszubauen. Mit einer eigenen Geschäftsstelle, die zum 1. Januar 2021 ihren Betrieb aufgenommen hat, sollen auch die Einbindung der Wirtschaft und insbesondere der Technologietransfer und die Start-up-Szene einen kräftigen Schub erhalten. Beides, Grundlagenforschung und industrielle Wertschöpfung, sind die Voraussetzungen, um in den Quantentechnologien und insbesondere im Quantencomputing Spitzenpositionen zu erobern.

Björn Thümler, Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur: „Mit dem Quantum Valley Lower Saxony setzen wir bewusst auf eine Schlüsseltechnologie von morgen. Wissenschaft und Industrie sind im Zuge des digitalen Wandels immer stärker auf Rechnerkapazitäten angewiesen, die in immer kürzerer Zeit immer komplexere Rechenoperationen leisten sollen. Niedersachsen hat als einer von zwei Standorten des Norddeutschen Verbunds für das Höchstleistungsrechnen bereits erfahren, wie wichtig diese Kapazitäten sind. Und je wichtiger Künstliche Intelligenz für Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft wird, desto weiter dürften diese Anforderungen steigen. Mit der Quantentechnologie stoßen wir vermutlich in völlig neue Dimensionen vor – vermutlich, weil wir zum heutigen Zeitpunkt nur eine grobe Ahnung von den disruptiven Potenzialen der Quantentechnologie haben. Niedersachsen ist in der Quantentechnologie aktuell ein Stück weit voraus. Mit Hilfe von QVLS sollen aus Science Fiction Science Facts werden.“

Professor Dr. Volker Epping, Präsident der Leibniz Universität Hannover: „Die Leibniz Universität Hannover hat eine lange Tradition in der Quantenforschung und kann auf herausragende Erfolge zurückblicken. Hierfür stehen beispielhaft die DFG-geförderten Exzellenzcluster QuantumFrontiers und PhoenixD, sowie die Sonderforschungsbereiche DQ-mat und TerraQ, in denen die Grundlagen und Anwendungen von Quanten- und Nanometrologie, Quantensensorik und Quantencomputing erforscht werden. Die LUH bietet heute eine erstklassige Infrastruktur und übernimmt im QVLS als Gründungsmitglied eine führende Rolle bei der Weiterentwicklung dieses Zukunftsfeldes.“

Professorin Dr. Angela Ittel, Präsidentin der TU Braunschweig: „Das niedersächsische Quantenbündnis ist großartiges Beispiel für gemeinsame und ganzheitliche Exzellenz ‚made in Niedersachsen‘. Wir sind stolz, dass wir von der TU Braunschweig unsere hervorragende Expertise in der Nano- und Quantentechnologie einbringen können, um gemeinsam einen weltweit einmaligen Quantencomputer zu entwickeln. An der TU Braunschweig forschen wir auf höchstem Niveau zur Skalierbarkeit des Superrechners, um ihn möglichst klein und kompakt und trotzdem enorm leistungsfähig und energieeffizient zu machen.“

Professor Dr. Dr. h. c. Joachim H. Ullrich, Präsident der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt: „Ich bin davon überzeugt, dass wir in fünf Jahren einen Quantencomputer mit 50 Qubits ‚made in Niedersachsen‘ haben werden. Besonders im Bereich des Quantum-Machine-Learnings, also der Künstlichen Intelligenz, wird das enorme Entwicklungen ermöglichen. Die PTB forscht im Rahmen der Atomuhren seit vielen Jahren auf höchstem Niveau an Ionenfallen, und diese Expertise ermöglicht uns nun, zusammen mit der Expertise unserer Partner, den Sprung in die Weltspitze der Quantencomputer-Entwicklung.“
Minister Björn Thümler und Angela Ittel, Präsidentin der TU Braunschweig, stehen nebeneinander und betrachten Quantentechnologie.   Bildrechte: QVLS
Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler und Angela Ittel, Präsidentin der TU Braunschweig, betrachten gemeinsam das Herz eines Quantencomputerprototypen in Braunschweig.

QVLS-Q1: Quantencomputer made in Niedersachsen

Einer der jüngst erreichten wissenschaftlichen Durchbrüche ist für das QVLS von besonderer Bedeutung: die Entwicklung einer skalierbaren Technologie für das Quantencomputing bei Raumtemperatur und mit geringer Fehlerrate auf der Basis von gefangenen Ionen. Diese Ionenfallentechnologie wird derzeit als einer der vielversprechendsten Ansätze für skalierbare Quantencomputer angesehen. Da die Region Hannover-Braunschweig selbst im weltweiten Vergleich zu den führenden Standorten dieser Technologie gehört, hat das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur gemeinsam mit der VolkswagenStiftung im Dezember 2020 eine Kernfinanzierung von 25 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um den QVLS-Q1, einen Quantencomputer mit 50 Qubits bis 2025 zu entwickeln. Diese Summe soll im Rahmen der aktuell laufenden Bundesausschreibungen vervielfacht werden und die technologische Entwicklung weiter beschleunigen.

Wie die Grundrecheneinheit Bit bei einem normalen Computer kann auch die Grundrecheneinheit des Quantencomputers ‒ ein Qubit ‒ die Zustände 0 oder 1 annehmen. Anders als bei einem normalen Computer kann ein Qubit jedoch auch alle Zustände dazwischen einnehmen. Deshalb steigt die Information, die ein Quantencomputer speichern und verarbeiten kann, exponentiell mit der Zahl der Qubits. Bei der Ionenfallen-Technologie werden Ionen ‒ geladene Atome ‒ als Grundrecheneinheit des Computers verwendet, ein Ion ist ein Qubit. Mithilfe von elektrischen Feldern werden diese Ionen eingefangen und durch Radiowellen sowie Laserstrahlen kontrolliert.

Arrays von Ionenfallen stellen aktuell die fortgeschrittenste Technologie dar, die Quantenprozessoren für den Raumtemperatur-Betrieb möglich macht. Alle anderen ähnlich weit entwickelten Technologie-Ansätze beruhen auf ultrakalten Temperaturen und fragilen Quantenzuständen, die enorm aufwändige Kühlsysteme erfordern. Die Stabilität von Quantenzuständen isolierter Ionen dagegen ist viele Zehnerpotenzen besser im Vergleich zu alternativen Technologien. Gepaart mit den extrem geringen demonstrierten Fehlerraten kann mit diesem System die Grundvoraussetzung für die Realisierung eines programmierbaren, fehlertoleranten Quantencomputers realisiert werden. Genau in diesem Punkt – der Fehlerwahrscheinlichkeit – konnten weltweit führende Ergebnisse im QVLS Verbund erreicht werden. Mit Blick auf die verfügbare Infrastruktur und die vorliegende Expertise bietet das QVLS die mit Abstand besten Voraussetzungen in Deutschland, um einen Ionenfallen-Quantencomputer zu bauen und weiterzuentwickeln.

Das QVLS wird die einzigartige Ausgangssituation nutzen und einen ersten Quantenprozessor mit 50 Qubits nahe der Fehlertoleranz entwickeln. Ein Quantenrechner mit 50 Qubits kann schon erste fundamentale Rechnungen vollziehen, wird aber vor allem erst einmal als Testmaschine dienen. Dabei sind 50 Qubits mit kleiner Fehlerrate schon wesentlich leistungsstärker als 1000 Qubits mit einer hundertfach höheren Fehlerquote. Eine weitere Skalierung über 50 Qubits hinaus setzt Investitionen im Bereich mehrerer 100 Millionen Euro voraus. Das QVLS möchte hierfür die notwendigen skalierbaren Basistechnologien entwickeln und erste Schritte gehen.

QVLS – Strategie und Zukunftsperspektiven

Über die kommenden 10 Jahre sollen in der Region mehr als 1,5 Milliarden Euro in Quantentechnologien fließen. Durch seine vielfältigen Aktivitäten will das QVLS als Katalysator das bestehende lokale Ökosystem aus Forschungseinrichtungen, Unternehmen, Start-ups und politischen Entscheidungsträgern stärken. Damit kann das Potenzial der Quantentechnologien in reale Lösungen umgesetzt werden, die einen Mehrwert für die Gesellschaft und die Wirtschaft schaffen. Mit Blick auf die Zukunft will QVLS das wachsende regionale Ökosystem weiter ausbauen, um zu einem der weltweit führenden Zentren für Quanteninnovationen zu werden.

Die in Zusammenarbeit mit unseren Partnern entwickelte QVLS Strategie umfasst sechs Schwerpunktbereiche für die nächsten zehn Jahre: innovationsfördernde Partnerschaften, herausragende Forschung, starke Quantentechnologie-Industrie, Weltklasse-Infrastruktur, nachhaltige Ausbildung von Talenten, Gemeinschaft und Öffentlichkeitsarbeit. Mehr zu unserer Strategie finden Sie hier.

Auf Grundlage der in der Region bereits etablierten hervorragenden Forschungskooperationen und der existierenden Forschungsinfrastruktur wird weiterhin exzellente Grundlagenforschung im Bereich der Quantentechnologien und der dazu notwendigen technologischen Schlüsseltechnologien auf höchstem Niveau betrieben. Hierfür stehen die DFG-geförderten Exzellenzcluster QuantumFrontiers und PhoenixD sowie die Sonderforschungsbereiche DQ-mat und TerraQ, in denen die Grundlagen und Anwendungen von Quanten- und Nanometrologie, Quantensensorik und Quantencomputing erforscht werden.

Aufgrund der Marktnähe der hierbei im Fokus stehenden Quantensensorik und perspektivisch auch des Quantencomputings, soll zukünftig vermehrt die Vermarktung der Quantentechnologien durch Überführung in die Industrie im Fokus stehen. Hierbei spielt neben einem niederschwelligen Zugang zu kritischer Infrastruktur auch die Unterstützung von Start-ups und dem Transfer von Know-How und qualifiziertem Personal in die Industrie eine wesentliche Rolle. Hierzu befinden sich mehrere Projekte in Planung, z.B. die QVLS-iLabs, in denen Forschende in gemeinsamen Integrations-Labors zusammen mit Industriepartnern die technologische Entwicklung in marktfähige Produkte überführen werden. Weiterhin sollen Deep-Tech-Firmengründungen im Umfeld der Quantentechnologien im Rahmen eines beantragten Hightech-Inkubators/Akzelerators (QVLS-HTI) stimuliert werden. Zur Überbrückung des „valley of death“ zwischen anwendungsnaher Forschung und Markt wird neben der Kooperation mit den Forschungseinrichtungen die zu gründende QVLS-HTI GmbH ein zweites zentrales Element sein. Diese wird alle operativen Aktivitäten bezüglich privater Investoren und Risiko-Kapital bündeln. Der Fokus wird hierbei auf „patient capital“, d.h. langfristiger Finanzierung liegen. Hierdurch entsteht ein nachhaltig wirkender regionaler Inkubator mit europäischer Strahlkraft.

In einer langfristig angelegten Strategie soll die Quantentechnologie-Infrastruktur nachhaltig weiter ausgebaut werden, z.B. durch einen Neubau für das Quantentechnologie-Kompetenzzentrum an der PTB, ein neues Gebäude für die Physik an der TU Braunschweig, sowie in Hannover ein Forschungsbau zum Thema Quantencomputing und neue Gebäude für das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, sowie für das DLR-SI.

Quantentechnologien in der Region Hannover-Braunschweig

Die QVLS Initiative stützt sich auf die deutschland- und sogar weltweit einzigartigen Stärken ihrer Gründungspartner. Die Leibniz Universität Hannover (LUH) hat einen strategischen Forschungsschwerpunkt im Bereich der Quantenoptik und Gravitationsforschung, der sich u.a. darin manifestiert, dass die LUH im Förderatlas der DFG deutschlandweit die Spitzenposition in diesem Themenbereich einnimmt. Die Entdeckung von Gravitationswellen der LIGO Kollaboration (Nobelpreis 2017) wurde mit Hannoveraner Lasertechnologie erzielt. Neue Rekorde in der Erzeugung von nichtklassischem Licht und der Laserstabilisierung lassen einen weiteren Sprung in der Nachweisempfindlichkeit in naher Zukunft erwarten. Im Bereich der Quantenoptik mit kalten Atomen ist Hannover deutschlandweit führend im Bereich von transportablen Beschleunigungssensoren. Kürzlich wurden unter Hannoveraner Führung die ersten Interferometrie-Experimente mit Quantenmaterie im Weltraum durchgeführt. Diese Expertise wird in Zusammenarbeit mit der NASA für ein neues Labor für Quantenmaterie auf der Internationalen Raumstation ISS genutzt.

Die Technische Universität Braunschweig hat herausragende Expertise in der Nano- und Halbleitertechnologie. Deutschlandweit einzigartig arbeiten PhysikerInnen und ElektrotechnikerInnen innerhalb einer Fakultät zusammen und decken von der Simulation und Materialherstellung über die Chip-Prozessierung bis zum Modulaufbau und der Systemintegration alle Aspekte einer mikroelektronischen und nanophotonischen Entwicklungslinie ab. Erstmalig konnten hierdurch z.B. nanoLED-Arrays verfügbar gemacht werden, die mittlerweile in vielen Bereichen der Umweltmesstechnik und der Medizintechnik neue Anwendungsmöglichkeiten aufzeigen. Expertise in der Entwicklung höchstempfindlicher Elektronik führte zu Systemen, die kleinste Signale messen, so z.B. die Abstrahlung von Mikroprozessoren oder elektrische Signale des Gehirns für tragbare EKG-Systeme, aber auch für neuartige Corona-Tests. Die TU Braunschweig zeichnet darüber hinaus eine enge Anbindung zu eigenen Start-ups sowie zu deutschen, weltweit tätigen Unternehmen der Halbleiter-Industrie aus.

Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) als weltweit zweitgrößtes nationales Metrologie-Institut arbeitet seit über hundert Jahren im Bereich der Quantenforschung und hat dementsprechende Kompetenzen auf diesem Gebiet, die weit über die reine metrologische Beauftragung hinaus reichen. So betreibt die PTB weltweit die erste transportable optische Uhr, die längste Glasfaserstrecke der Welt zum Vergleich optischer Uhren über lange Distanzen, und hat zusammen mit Forschern aus den USA den aktuell besten Laser für optische Uhren entwickelt. Darüber hinaus betreibt die PTB die genauste Uhr Europas. Ein gemeinsames Projekt mit der Industrie hat zum ersten kommerziellen Demonstrator einer optischen Uhr geführt. Weiterhin ist die PTB führend auf dem Gebiet der elektrischen Quantenmetrologie und der Magnetfeldsensorik mit Quantenschaltkreisen. Im Jahr 2019 wurde diese Expertise im Kompetenzzentrum für Quantentechnologien gebündelt, das die dort bereits seit Jahrzehnten entwickelte Quantentechnologie für externe NutzerInnen zur Verfügung stellt.

Das neue Institut für Satellitengeodäsie und Inertialsensorik (SI) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR) in Hannover widmet sich primär Forschungsfragen im Kontext der Nutzung von Quantentechnologien und Quantensensoren und entwickelt Quantenmesstechniken für innovative Anwendungen, bis hin zur Realisierung von Prototypenlösungen. Primäre Forschungsziele des DLR SI sind unter anderem neue Entwicklungen auf der Grundlage innovativer quantentechnologischer Verfahren, welche zur Lösung gesellschaftlicher und technologischer Herausforderungen maßgeblich beitragen werden sowie neuartige Systeme von Quantensensoren für Weltraum- und terrestrische Anwendungen, die das gesamte Spektrum der Neuentwicklungen in der Quantenphysik und Quantenoptik nutzen.

Stationen der Pressetour: Prototypen und Experimente am HITec

Das Hannover Institute of Technology (HITec) ist als Standort für den Quantencomputer QVLS-Q1 ein zentraler Bestandteil der QVLS Infrastruktur. Der in 2018 eröffnete Forschungsbau der LUH bietet Platz für über 100 interdisziplinär Forschende und sprichwörtlich herausragende Großexperimente wie den Einstein-Elevator, in welchem Experimente bei Schwerelosigkeit sowie mars- oder mondähnlichen Schwere-Bedingungen durchgeführt werden können.

Einstein-Elevator

Die Forschungsschwerpunkte am HITec liegen in den Bereichen der Quantenphysik, -optik und
-sensorik sowie Festkörperphysik und Geodäsie. Neben Grundlagenforschung in den Quantentechnologien zielt das Forschungsvorhaben des HITec auf die Realisierung von neuen hoch präzisen und empfindlichen Quantensensoren. Der Einstein-Elevator dient dabei unter anderem der Erprobung dieser neuen Technologien unter extremen Bedingungen. Denn aufgrund der sehr hohen Wiederholrate von 300 Versuchen pro Tag können mit dem Einstein-Elevator Messkampagnen in kürzester Zeit durchgeführt werden. Das Großexperiment ist ein Produkt aus Spitzenforschung in der Physik gepaart mit interdisziplinärer Ingenieurskunst und zeigt damit anschaulich das Zusammenwirken der QVLS-Partnerinstitutionen: Antriebe aus dem Achterbahnbau mit der Positioniergenauigkeit einer Werkzeugmaschine, Führungen aus der Aufzugstechnik, Materialien wie Kohlefaserverstärkter Kunststoff aus dem Segelyachtbau sowie der Stahlbau aus dem klassischen Maschinenbau erlauben genaueste Messungen von kleinsten physikalischen Phänomenen.

QVLS-Q1 & Quantencomputing Labore

Der QVLS-Q1 wird am HITec aufgebaut, dementsprechend wird an dieser Station der Pressetour das Konzept des Ionenfallen-Quantencomputers erläutert und der Aufbau der Apparatur gezeigt. Die Qubits werden in Chip-Fallen gespeichert (vgl. Station Reinraumzentrum PTB). Zur Ausführung von Quantenlogikgattern, den elementaren Rechenoperationen des Quantencomputers, werden üblicherweise fokussierte Laserstrahlen verwendet. Für das QVLS-Q1 Projekt haben die Partner eine Methode entwickelt, mittels in den Chip integrierter Mikrowellen-Bauelemente direkt Quantengatter zu implementieren. Dies hat den Vorteil, dass alle für das Rechnen nötigen Kontrollelemente bereits integriert sind. Eine wichtige Eigenschaft eines Quantencomputers ist nicht nur die Zahl der Qubits, sondern vor allem wie gut die Rechenoperationen funktionieren, die sogenannte Güte der Quantengatter („fidelity“). Erst wenn die Gatterfehler bis auf ein Niveau von 10-4 unterdrückt sind (wohin unsere Prototypen auf dem besten Weg sind), können für die Skalierung die verbliebenen Imperfektionen mit dem Verfahren der Quantenfehlerkorrektur behoben werden – ähnlich wie beispielsweise auch eine CD mit ein paar Kratzern immer noch fehlerfrei abspielen kann, weil auf dem Datenträger redundante Informationen abgelegt sind, welche die Rekonstruktion erlauben.

Stationen der Pressetour: Basistechnologien für Spillover-Anwendungen an der TU Braunschweig

Quantensensoren für neuartigen, quantitativen Schnelltest auf das SARS-CoV-2-Virus

Die Corona-Pandemie hält die Welt immer noch in Atem. Gerade baut sich die vierte Welle von Infektionen in Deutschland auf. Für die schnelle und insbesondere zuverlässige Erkennung von Infizierten müssen die zur Verfügung stehenden Antigen-Schnelltests qualifiziert werden und ihre Sensitivität und Spezifität überprüft werden. Wir setzen am Institut für Elektrische Messtechnik und Grundlagen der Elektrotechnik (EMG) seit vielen Jahren supraleitende SQUID-Quantensensoren für die Detektion von magnetischen Nanopartikeln ein, die auch bei unserem neuen Schnelltest zum Nachweis des Corona-Virus SARS-CoV-2 zum Einsatz kommen. Diese neuartige, hochempfindliche und schnelle Methode zum Nachweis einer Covid-Infektion wurde bereits erfolgreich an Proben von Corona-Patienten aus dem Städtischen Klinikum Braunschweig getestet. In Minuten können quantitative Messungen zur Viruslast mit hoher Reproduzierbarkeit durchgeführt werden.

Ein Mikroskop für die Hosentasche

Für einen hochintegrierten Quantencomputer in Ionenfallen-Architektur müssen Basistechnologien entwickelt werden, die auch heute schon auf andere Anwendungsfelder ausstrahlen. Zur Miniaturisierung von Quantenprozessoren entwickeln WissenschaftlerInnen der TU Braunschweig hochintegrierte Lichtquellen wie Laser oder mikroLEDs. Diese ermöglichen eine gezielte Beleuchtung auf der Nanoskala (SMILE = Structured Micro Illumination Light Engine), die vor allem für Anwendungen in den Lebenswissenschaften interessant ist. So können SMILE-Module z.B. Nervenzellen optisch anregen und ersetzen die aufwändige Verlegung von Elektroden. MikroLEDs sind aber auch die Grundlage für eine völlig neue Art der Mikroskopie: Chip-Mikroskopie ohne optische Elemente, ohne Linsen, Objektive oder mechanischer Verfahr-Einrichtungen. Ihre robuste und kompakte Bauform erlaubt den Einsatz direkt vor Ort. Die Anwendungsmöglichkeiten derartiger superkompakter Mikroskope sind äußerst vielfältig und entspringen letztlich der Entwicklung der Quantentechnologien ebenso wie die Teflon-Pfanne ein Nebenprodukt der Apollo-Mondmissionen ist. Den Sprung von der Forschung zum Markt begleitet die QubeDot GmbH, ein junges Start-up der QVLS-Initiative mit Standort Braunschweig.

Stationen der Pressetour: Entwicklungen und Experimente an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt

Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt ist das nationale Metrologieinstitut Deutschlands und damit die nationale Größe für richtiges und präzises Messen: Sie ist verantwortlich für die Darstellung und die Weitergabe der physikalischen Einheiten, sie ist metrologisches Forschungsinstitut und Dienstleister für Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft und sie ist – weit über die nationalen Grenzen hinaus – eine der ersten Adressen der Metrologie überhaupt.

So wie die PTB mit ihrer Messkunst bereits vor 100 Jahren die Geburtsstunde der Quantentheorie begleitete, treibt sie jetzt die messtechnischen Möglichkeiten der Zweiten Quantenrevolution voran – mit den nächsten Generationen von Atomuhren, noch präziseren elektrischen Normalen und innovativen Messmöglichkeiten in der Medizin. Die metrologischen Grundlagenarbeiten münden zugleich in technologische Anwendungen. Um diese Anwendungen für die wirtschaftliche Entwicklung der QT zugänglich zu machen, wurde kürzlich das Quantentechnologie-Kompetenzzentrum QTZ gegründet. Neben vielen weiteren Aspekten, werden im QTZ die Aktivitäten zur Weiterentwicklung und dem Technologie-Transfer von elektrischen Quantennormalen sowie Ionenfallen für Quantencomputer und optische Uhren vorangetrieben.

Zentrale Einrichtung hierfür ist das Reinraumzentrum der PTB. Dort stehen alle für Mikrofabrikationsprozesse erforderlichen Geräte und Prozessiermöglichkeiten auf höchstem Niveau zur Verfügung. Dies ermöglicht eine schnelle In-House Prototypen-Entwicklung und bietet so optimale Voraussetzungen zur Entwicklung und Untersuchung neuer Prozesse und Materialien, wie viele Patente aus diesem Bereich untermauern.

Ein prominentes Beispiel für diese Erfolgsgeschichte ist ein patentierter Prozess für die Herstellung von Ionenfallen für das Quantencomputing. Hier verfolgt die PTB in enger Zusammenarbeit mit der LUH den europaweit einmaligen Nahfeld-Mikrowellenansatz mit vielen Vorteilen, wenn es darum geht die Ionenfallentechnologie auf viele Qubits zu skalieren. Statt der üblicherweise eingesetzten Laser zur Implementierung von Rechenoperationen mit den Qubits, kommen die viel besser kontrollierbaren und – z.B. im Rahmen der Mobilfunktechnolgie – weit entwickelten Mikrowellen zum Einsatz. Laser werden jedoch weiterhin für die Kühlung und das Auslesen der Qubits verwendet. In einem Quantencomputer-Prototypen können einzelne oder mehrere Ionen gefangen und manipuliert werden. Auf diese Weise lassen sich alle notwendigen Schritte für die sogenannte Quanten-CCD-Architektur, in der Ionen zwischen Speicher- und Rechenregister verschoben und beliebig zueinander angeordnet werden können, demonstrieren. Zukünftig sollen im Rahmen der Entwicklungen von QVLS-Q1 und dem beantragten BMBF-Projekt ATIQ Ansteuerelektronik und optische Komponenten sowie die Detektion auf dem Ionenfallen-Chip integriert werden, um den Boden für eine Skalierung zu vielen hundert Qubits zu bereiten. Nach fünf Jahren soll bereits ein Demonstrator mit 50 Qubits in der Cloud für Anwender zur Verfügung stehen.

Die Entwicklung von Quantencomputern in der PTB hat sich ganz natürlich aus der Entwicklung von optischen Uhren ergeben: In beiden Fällen wird eine möglichst perfekte Isolation von störenden Umgebungseinflüssen sowie eine exquisite Kontrolle des Zustands der Atome benötigt. Die technologische Plattform und die Anforderungen für Uhren und Quantencomputer sind daher sehr ähnlich. Technologische Entwicklungsschübe kommen also beiden Anwendungen zugute. Weiterhin geht der Trend bei den optischen Uhren ebenfalls zu Multi-Ionen-Uhren mit ihrem besseren Signal-zu-Rausch-Verhältnis. Dabei kommen ebenfalls Quantenalgorithmen zum Einsatz, die es entweder erst ermöglichen bestimmte Uhren zu betreiben oder über Verschränkung das Signal der Uhr weiter zu verbessern.

Artikel-Informationen

erstellt am:
31.08.2021

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