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Aufbruch aus der Krise: Transfer und Transformation

Im Februar 2020 ist ein gemeinsames Positionspapier zum Transfer von der Landeshochschulkonferenz (LHK) und dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) veröffentlicht worden. Vorangegangen waren der Entwurf einer Transferstrategie des MWK im Sommer 2018 und der Entwurf einer Transferstrategie der LHK im Sommer 2019. Beide Papiere wurden im gemeinsamen Positionspapier geeint und vom LHK-Plenum beschlossen. Das Papier war eine gute strategische Ausgangsbasis, auf der in der Zwischenzeit erfolgreich gearbeitet wurde.

Doch in den vergangenen zwei Jahren hat sich die Welt stark verändert. Die Covid-19-Pandemie hat vielfältige Erkenntnisse zu Chancen und Hürden erfolgreicher Transferaktivitäten geliefert, die nun berücksichtigt werden sollten.

Gleichzeitig sind die aufgrund der akuten Krisen etwas in den Hintergrund gerückten große gesellschaftlichen Herausforderungen weiterhin ungelöst und müssen mit größerem Elan angegangen werden: Klimaschutz, Transformation von Energie, Mobilität und Agrar- und Ernährungswirtschaft, Digitalisierung, demographischer Wandel, Verlust an Biodiversität, Nachhaltigkeit, Erneuerung unserer Infrastrukturen – die Liste ist und bleibt lang. Und klar ist: Für die notwendige politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformation sind die wissenschaftliche Expertise und Mitarbeit dringender erforderlich denn je.

Die Covid-19-Pandemie hat dabei eindrucksvoll gezeigt, zu welchen Leistungen Wissenschaft fähig ist, wie flexibel und dynamisch sie agieren kann: Impfstoffentwicklung in Rekordzeit, Wissenschaftskommunikation und Politikberatung in bislang ungeahnter Intensität, Umstellung auf Distanzlehre und digitalen Austausch in Forschung und Lehre. Öffentliche Anfeindungen und eine wachsende Wissenschaftsskepsis stellen eine zusätzliche Komplikation dar, die Antworten erfordert.

Durch die stärkere Transferorientierung der Bundesregierung, die sich unter anderem durch die Benennung eines „Beauftragten für Transfer und Ausgründungen aus der Wissenschaft“ oder die geplante Gründung einer Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) ausdrückt, werden Transferimpulse auf breitere Aufmerksamkeit stoßen. Vor diesem Hintergrund erscheint es angebracht, die gemeinsamen Überlegungen von MWK und LHK zum Transfer zu überdenken und weiterzuentwickeln.

Ergänzend zur fachlichen Einordnung der Handlungsbedarfe sowie der Stellungnahmen der Hochschulen sollen die folgenden politisch-strategischen Gedanken zur Orientierung beitragen.

1. Die Rolle der Third Mission im Hochschulsystem weiterentwickeln

Zur Wahrung der Autonomie der Hochschulen und ihrer individuellen Transferstrategien, aber auch aufgrund regionaler Besonderheiten im jeweiligen Hochschulumfeld sollte einem gemeinsamen Positionspapier bzw. einer Transferstrategie auch weiterhin ein möglichst weites Transfer- und Translationsverständnis innewohnen.

Denn die Third Mission ist vielfältig: Technologie- und Wissenstransfer, Förderung sozialer Innovationen, Verbesserung des Transfers über Köpfe, Weiterbildung, gesellschaftliches Engagement und wirtschaftliches wie soziales Unternehmertum, Translation und Wissenschaftskommunikation. Es ist anzustreben, all diese Aspekte in einer angemessenen und abgestimmten Form voranzutreiben und aufeinander abzustimmen. Als hilfreich dürfte sich hier auch eine stärkere Übereinkunft über das Ziel einer Weiterentwicklung der Transferstrategie erweisen. Naheliegend sind hier Fragen der Relevanz für notwendige gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungsprozesse.

2. Trennung von Forschung, Lehre und Transfer überwinden

Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt, dass Forschung, Lehre und Transfer als die drei wesentlichen Aufgaben der Hochschulen künftig noch stärker als verbundene Aufgaben zu betrachten sind. Dabei geht es nicht nur um ein Zusammenwirken der drei Missionen innerhalb der Hochschule, sondern auch eine Intensivierung des Dialogs mit dem Hochschulumfeld.

Die Wertschätzung von Transfer und Wissenschaftskommunikation ist davon abhängig, dass sich entsprechende Schwerpunktsetzungen nicht nachteilig auf die wissenschaftliche Karriereplanung auswirken. Promovierende sollten daher ermutigt werden, Gründungsperspektiven zu ergründen, Erfahrungen in innovativen Unternehmen, aber auch gesellschaftlichen Institutionen zu sammeln, um der Wechselseitigkeit von Transferprozessen Rechnung zu tragen. Mit Blick auf Transfervorhaben sollten die Spielräume für Forschungsfreisemester nach § 24 Abs. 3 S. 1 NHG verstärkt genutzt werden. Es sollte geprüft werden, inwieweit Wissenschaftskommunikation und Transfer stärker in Berufungsverfahren berücksichtigt werden können.

Um Transfer, Translation und Wissenschaftskommunikation nachhaltig zu stärken, ist die Berücksichtigung in der akademischen Aus- und Weiterbildung zu erhöhen. Hierzu können Wahlpflichtmodule in Bachelor- und Masterstudiengängen, die stärkere Förderung von Abschlussarbeiten innerhalb von Unternehmenspraktika oder der Ausbau berufsbegleitender akademischer Weiterbildungsangebote mit Transferbezug gehören.

Die Einführung und stärkere Nutzung digitaler Instrumente (Podcasts, digitale Vorlesungen, OER-Portale) kann zudem dazu beitragen, weitere Akteure in Transferprozesse einzubinden.

3. Transferhemmnisse identifizieren und abbauen

Es ist zentral, dass interaktive, wechselseitige Transferprozesse möglichst schnell und reibungslos funktionieren können. Prozesshemmnisse müssen daher früher identifiziert und geeignete Lösungen entwickelt werden, um z.B. in den Schlüsseltechnologien und prägenden Branchen langfristige Nachteile gegenüber Regionen wie Asien oder Nordamerika zu vermeiden. Auch muss unser Ziel sein, für wissenschaftliche Ausgründungen den Aufwand zu minimieren und die Konditionen zu verbessern; z.B. bei Fragen des Übergangs von geistigen Eigentumsrechten. Ob hierzu bestehende Beratungs- und Unterstützungsstrukturen ausgeweitet oder ergänzende Strukturen mit deutlichem Transferbezug geschaffen werden sollten, wäre noch im Detail zu erörtern.

4. Transfer messen und sichtbar machen

Es ist eine Herausforderung, Gelingensbedingungen, Leistungen und Wirksamkeit von Wissenschaftskommunikation und Transfer transparent und vor allem messbar darzustellen.

Das Transferbarometer des Stifterverbands kann die Grundlage für ein besseres Verständnis für Transfer und Wissenschaftskommunikation bilden. Wir sollten dies nutzen und für uns umsetzen.

Auch durch einen Ausbau von Akzeptanz- und Wirkungsforschung kann Forschung zur Weiterentwicklung von Transferprozessen und deren Sichtbarkeit beitragen.

5. Transfer und Wissenschaftskommunikation als Beitrag zur gesellschaftlichen Transformation verstehen

Das Ausmaß der notwendigen transformatorischen Veränderungen hin zu einer nachhaltigen, digitalen und resilienten Wirtschaft und Gesellschaft ist gewaltig und weckt häufig Ängste, Vorbehalte und Beharrungskräfte. Die Schaffung und Sicherung gesellschaftlicher Akzeptanz ist ein wesentlicher Faktor jeglicher Transformations- und Transferprozesse. Eine niedrigschwellige Wissenschafts-kommunikation kann wesentliche Informationen bereitstellen und zur Versachlichung gesellschaftlicher Debatten beitragen.

Transfer und Wissenschaftskommunikation sind dabei nicht als Einbahnstraßen zu verstehen, sondern als interaktiver Prozess. Durch den Ausbau partizipatorischer Prozesse über alle Transferkanäle hinweg können gesellschaftliche, aber auch trans- und interdisziplinäre Impulse diskutiert, konsentiert und integriert werden. Hierzu gehören auch die modernen Ansätze von Citizen Science und Community Based Research. Dabei soll eine gesunde Balance zwischen den Erfordernissen der Wissenschaftsfreiheit und breiter Unterstützung des Hochschulumfeld für Forschungs- und Transferaktivitäten erreicht werden. Es bedarf der kritischen Debatte wesentlicher Weichenstellungen, z.B. hinsichtlich zusätzlicher akademischer Bildungsangebote für unterschiedliche Interessengruppen.

6. Ein „entrepreneurial mindset“ schaffen

In den vergangenen Jahren ist in Niedersachsen ein vielfältiges Gründungs-, Startup- und Transferökosystem entstanden. Durch eine stärkere Vernetzung unserer Strukturen, den Ausbau von Inkubatoren und Acceleratoren, die Sensibilisierung und Befähigung von Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitenden schaffen wir die Grundlage für wirtschaftlich erfolgreiche und gesellschaftlich wirkmächtige Hochschulgründungen sowie für ein „entrepreneurial mindset“ bzw. eine stärkere Gründungsorientierung unserer Absolventinnen und Absolventen, von dem auch etablierte Unternehmen profitieren. Diesen eingeschlagenen Weg gilt es konsequent weiterzugehen.

7. Forschungsförderung um Transferperspektive ergänzen

Die beschriebenen Akzentverschiebungen im Miteinander von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft stellen auch Anforderungen an die zukünftige Forschungsförderung. Wissenschaftskommunikation, der gesellschaftliche und der technologische Transfer müssen künftig stärker als zentrale Kriterien in Förderausschreibungen abgebildet werden, um echte Anreize für Transferaktivitäten zu setzen. Trans- und interdisziplinäre Ansätze sowie die Einbindung und Partizipation neuer Partner und Disziplinen sollte stärker ermöglicht werden, um mehr Raum für zuvor nicht absehbare Wechselwirkungen zu schaffen, die sowohl für wissenschaftliche Durchbrüche als auch gesellschaftlichen Impact wichtig sind. Netzwerke wie Quantum Valley Lower Saxony beweisen den Mehrwert einer intensiven Vernetzung von Forschungsvorhaben und Forschungsgruppen sowie einer vielfältigen Einbindung von Akteuren aus Forschung, Entwicklung, Produktion und Startups.


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